Ich bin dann mal weg.

Zuviel Arbeit vor den Feiertagen und zuviel Familie dabei veranlassen mich den Blog bis zu den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr ein wenig schlummern zu lassen. Vorher aber noch ein leicht kulinarische Weihnachtsgeschichte. Frohes Fest!




Der Hund ist weg!

Draußen fallen die Schneeflocken untertassengroß vom Himmel und legen sich leise, wie Wattebäusche, auf Autos und Büsche. Hinter den von Eisblumen verzierten Fenstern, im vom Kerzenschein erhellten Wohnzimmer ist die Familie versammelt, die Frauen im besten Sonntagskleid, die Männer im edlen Anzug, und die Jüngste im süßen Samtröckchen in festlichem Rot. In der Ecke, rechts vom Kamin strahlt der Weihnachtsbaum, biologisch-dynamisch gewachsen und vom Hausherrn eigenhändig ersägt, in Gold und Silber. Der Duft von Tanne erfüllt den Raum, die unter dem Baum angehäuften Geschenke zeugen von Wohlstand und gutem Geschmack. Im Ofen schmort eine Keule, das dazugehörige Restwildschwein war von bekehrten, aber noch von Gewissensbissen geplagten Ex–Vegetariern liebevoll in den Tod begleitet worden, auf dem Herd duftet der handgeschnittene Rotkohl nach Nelke und Omas Quittengelee.

Ach, so, genauso, sollte Weihnachten immer sein.

Oma K. steckt sich noch verstohlen einen letzten Dominostein zwischen die rot getünchten Lippen als D., ihr ältester Schwiegersohn, zur Weihnachtsgeschichte ruft. Die übrigen Familienmitglieder haben in gar nicht gekünstelter Vorfreude schon auf den üppigen Sesseln Platz genommen, die Jüngste liegt bäuchlings neben ihrem Onkel mit strahlenden Augen und vor Aufregung zitternden Beinchen. D. ist ein gefeierter Schauspieler und die alljährliche Geschichte aus seinem Munde im tiefen, einhüllenden Bariton ist der erste Höhepunkt des Heiligen Abends. Opa B. füllt noch einmal rasch die Champagnergläser und schon beginnt die Erzählung.

„ Als der Hirte sich dem Himme.....“

„Wo ist eigentlich der Hund?“

Fünf Worte. Nur fünf Worte. Fünf Worte aus einem in tiefstem Karmin umrandeten und für sein Alter überaus ansehnlichen Mund.

FÜNF WORTE DIE WEIHNACHTEN TÖTEN: SOFORT UND AUF DER STELLE.

WO IST EIGENTLICH DER HUND?

Dieser süße kleine Fratz mit einem Schleifchen im Fell und den niedlichen, wenn auch etwas traurigen Augen.
Diese Scheißtöle, die wie wild losbellt sobald irgendjemand an der Tür schellt und danach, falls es jemand bekanntes war, der da klingelte, aus Freude die Diele voll pisst.
Die nach einem Regenschauer riecht wie das Innere eines uralten Yaks.
Dieses Monstrum dass wie ein Wischmopp mit kurzen Beinen durch die Küche kurvt; immer auf der Suche nach Essbarem, egal wie alt oder vergammelt.
Wo ist er denn? Eigentlich? Der Hund?

Im Schoße der Familie jedenfalls nicht.
„Issser überhaupt mit in die Wohnung gekommen?“ Fragt Opa B, leert sein Champagnerglas, und schenkt sich eilig nach.
In keinem Zimmer ist der Köter zu finden. Im Treppenhaus verhallen die Rufe nach ihm im Duft von Zimtsternen und den Klängen René Kollos. Ohne Antwort.

Oma K. sitzt mit ihren Tränen ringend vor einem großen Teller Oblatenlebkuchen. Schließlich ist es ihr geliebter Kläffer der verschütt gegangen ist. „Was soll ich denn ohne sie tun? Sie ist doch so hilflos ohne uns, und B. erst, er hängt doch so an ihr...“ Opa B. nickt während er sein Glas erneut leert, was zu einem leichten Kleckern führt, auch er hat jetzt feuchte Augen bekommen, irgendwie.

Hausherr O. macht sich gemeinsam mit Schwiegersohn D. auf in die bitterkalte Nacht, um das verschollene Haustier zu retten. Kaum aus dem Treppenhaus getreten hält D. den Flachmann hin: Weidmanns Heil! Möge die Jagd glücklich verlaufen.
Sie nehmen beide beherzte Schlucke des brennenden Schnapses und laufen in entgegen gesetzter Richtung ihrer kurzbeinigen Beute hinterher.

Im Foyer der Wohnung hat J., Tante der Jüngsten und Frau von D., die Kommandozentrale eingerichtet. Mit Handy und Festnetzanschluss sowie einem Riedelkübel gefüllt mit Rotwein und zwei Schachteln Zigaretten bewaffnet, organisiert sie, einem General gleich, die hoffentlich baldige Rettung des Hundes. Polizei, Nachbarn und das Fernsehen sind alarmiert ehe das Brennen in der Kehle ihres Mannes unten nachlässt.

Derweil sitzt T., Mutter der Jüngsten, ebenfalls mit einer großen Dosis Alk ausgestattet, auf dem Teppich und versucht ihre Tochter zu trösten. Es nützt wenig, das Samtröckchen ist schon durch die Tränen um einiges dunkler als zu Beginn der Festivitäten.

„Was mach ich ohne meine geliebte P.“ hört man aus den lebkuchen–verschmierten Lippen der Oma, die vor einem Berg benutzter Einwegtaschentücher sitzt.

„Halt doch bitte mal die Fresse Mutter, ich hab den Innensenator am Apparat“

„ Die Flaschee geehtd gar nich auf“ Opa schwankt.

Das Telefon klingelt. Ein Funke der Hoffnung erhellt den Raum. Doch Scheiße, es ist nur der Bruder des Hausherrn der seit drei Jahren in der Antarktis forscht und seit 2 Wochen auf diese Verbindung wartet.

„Wir ham hier ein Notfall, verdammmt. Ruf später an,“ sagt J. als der Satellit sich aus der für die telefonische Verbindung einzigen günstigen Position entfernt.

„Opi, ich helf’ dir ma’“, sagt T. öffnet den Montrachet und kippt die Gläser voll. „WHOOPS. Tschuldigung Mudder.“
„ Natürlich issess ein Rassehund“, tönt es aus dem Foyer. „SSUUUPER, Roonald danke dir.“

Die Bar in der sich die Männer schon im Hausflur verabredet hatten ist von einsamen Singles gefüllt.
Die Schwager leeren den zweiten Cognac, schimpfen auf die Töle und wünschen sich auch einsame Singles zu sein, als eine Unruhe die Bar erfüllt. Aus den Fenstern erblicken sie ungläubig die hellen Scheinwerferkegel und vernehmen erst dann den Krach der Rotoren, der die kalte Nacht vibrieren lässt.




Die sanft herabrieselnden Schneeflocken werden von den Hubschraubern in einen Blizzard kanadischer Güte verwandelt, die Straße ist erleuchtet wie die Abschlussfeier der Winterolympiade und die ersten Spezialtrupps des MEK seilen sich von Dächern der umliegenden Wohnhäuser ab.

„Da hadd deine Frau aber wieeider ganze Arbeit geleistet, D.“ sagt O. als sie stolpernd die Polizeiabsperrung umgehen.

Auf dem Balkon der Familie brüllt der Einsatzleiter in winterlicher Tarnbekleidung ausgerüstet Befehle in sein Megafon. Tante J. souffliert.

„Mehr Männer in nördlicher Position, bringt die Raupenfahrzeuge heran, sperrt den U–Bahn Viadukt! ZACK ZACK ZACK.“

„ Wir hams bald Mudder, das wird schon,“ ruft J. durch die geöffnete Balkontür.

„Mami...??“, die Jüngste meldet sich leise zu Wort

„Nich jetzt Süße,“ sagt Mutter T, die verzweifelt versucht die Ornamente zu retten, die durch den Wind der Hubschrauber wild am Baum taumeln.

„Mami ich hab ich hab ich“

„Nicht jetzt!!!!!!!“ schreit T „verdammte Scheiße, nicht jetzt“ Rumms, die zweite Bacarat-Kugel zerschellt auf dem glänzenden Parkett.



Traurig geht die Jüngste in die Küche, schließt die Tür hinter sich und streichelt den kleinen flauschigen Hund, der geweckt vom Treiben um ihn herum vor dem Ofen sitzt , wo die verkohlte Keule des sus selvaticus im Bräter qualmt. Auf immer verloren.

Erst lange nachdem Polizei, Feuerwehr und die Kamerateams erfolglos abgezogen sind, entdeckt Mutter T. ihre Tochter schlafend auf dem Küchenboden. Neben ihr schnarcht der Hund und träumt von der Schneehasenjagd.
Leise holt sie den Rest der Familie. Tränen der Rührung in den Augen, wanken sie gemeinsam im Kücheneingang. Vater O. dreht ein Video.

Opi wischt sich eine Träne aus dem Auge und sagt
Ach, so, genauso, sollte Weihnachten immer sein.

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